Dienstag, 23. Juli 2013

Zwei historische Städte: die eine wird aufgerüstet, die andere versenkt

Mit Danielle und Jolan fahren wir nach Mardin. Mardin liegt nur unweit von der syrischen und der irakischen Grenze und wurde im Laufe der Geschichte von den unterschiedlichsten Völkern beherrscht. Im 5. Jahrhundert ließen sich hier assyrische Christen nieder, darauf folgten die Araber, Seldschucken, Kurden, Mongolen und Perser, bis 1517 die Osmanen die Stadt übernahmen. Heute leben nur noch wenige Christen in Mardin, die meisten wurden Anfang des 20. Jahrhunderts vertrieben und umgebracht, oder emigrierten in den letzten Jahrzehnten.
Mardin verfügt über zahlreiche Moscheen, Medresen (frühere Schulen für Islamwissenschaften) und Kirchen. Wir schlendern durch die Gassen und begutachten die einzelnen Gebäude eher weniger gezielt. Oben im Städtchen angekommen liegt uns Mesopotamien zu Füssen. Der Blick in die unendlich weite Landschaft ist atemberaubend, auch wenn aufgrund der Hitze und des Staubs keine klare Sicht herrscht. Hier sind wir nun, an einem der geschichtsträchtigsten Orte der Türkei, und ich bedaure dass sich mein historisches Wissen auf die Ausführungen im Reiseführer begrenzt. Gerne würden wir noch die alte Burganlage auf dem Hügel besuchen. Diese wird jedoch noch immer von der Armee besetzt, eine Machtdemonstration gegenüber der kurdischen Bevölkerung. Pläne zur Freigabe der Anlage bestehen, jedoch wird diese mit dem Krieg im nahe gelegenen Syrien nicht so bald realisiert werden.

Die türkische Regierung möchte den Massentourismus in Mardin fördern. Bis zu jährlich 5 Millionen türkische und ausländische Touristen sollen das Städtchen in Zukunft besuchen. Dieses Vorhaben spüren wir an allen Ecken: einige Hotelbetonblöcke stehen bereits und verunstalten das Stadtbild. Und an jeder Ecke wird an den Strassen und Häusern gewerkelt. Das Abendessen, das Jonas in den kommenden Tagen verdauungsmässig zum Verhängnis wird,  geniessen wir dann mit Danielle und Jolan auf einer der zahlreichen Dachterrassen der Stadt.

Mardin ist zwar schön und hat mit den engen Gassen und den Kalksteinhäusern durchaus Charme. Trotzdem sind wir froh, als wir am nächsten Morgen wieder weiterfahren. Es gibt nur wenig günstige Unterkünfte in Mardin, in einer davon nächtigen wir. Dass Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage spüren wir dabei: Die Zimmer haben keine eigenen Toiletten, die “gemeinsame” Toilette ist nicht geputzt und die Zimmer sind muffelig. Der Pensionsbetreiber ist ein - nett ausgedrückt - spezieller Typ- mit einem etwas gestörten Verhältnis zu seinen Kanarienvögel. Der grösste seiner Vögel sitzt bei ihm wahrscheinlich im Kopf.

Da auch Danelle und Jolan Hasankeyf auf dem Plan haben, teilen wir das Auto nochmals. Wie in Mardin wechselten auch in Hasankeyf die Machthaber im Laufe der reichen Geschichte oft. Ein dunkles Kapitel der Geschichte ereignete sich hier während des Genozids an den Armeniern, als Hasankeyf ein wichtiger Vernichtungsort war.

Das Dorf ist wunderschön in die Landschaft zwischen Felsen und Tigris eingebettet. Menschen lebten hier in Höhlen, die wir von weitem bestaunen können. Wir sind glücklich, Hasankeyf noch besuchen zu können, denn die türkische Regierung plant im Zuge des Südostanatolien-Projekts, das die Schaffung vieler Staudämme (wie auch des Ilısu-Staudamms) zum Ziel hat, Hasankeyf unter Wasser zu setzen. Dagegen regt sich bis heute nationaler, meist kurdischer, und internationaler Protest. Ungeachtet dessen hat die Türkei Anfang August 2006 mit dem Bau des Staudamms begonnen. Voraussichtlich 2016 wird das Dorf unter dem Stausee verschwinden. Auch Schweizer Unternehmen wollten sich ursprünglich am Geschäft beteiligen und trotz Proteste von Menschenrechtsorganisationen mitverdienen. Der Bundesrat gewährte 2006 Exportrisikogarantien für die involvierten Unternehmen, die er wieder stoppte. Das Projekt wird trotzdem realisiert. Die türkische Regierung ist nun daran, den Landbesitzern das Land abzukaufen und die Leute umzusiedeln. Neue Dörfer sind im Bau. Wir spüren eine Art Untergangsstimmung im Dorf - in die Infrastruktur wird nicht mehr investiert. Der Gedanke daran, dass dieser spezielle Ort in ein paar Jahren überflutet sein wird, deprimiert mich.
Die Menschen hier wollen den Damm nicht. Von Häusern mit grossen Gärten müssen sie umziehen in kleine Wohnungen. Ich frage mich wovon die Bewohner leben werden, wenn keine Touristen mehr kommen.

In der Unterkunft treffen wir auf Mustafa. Mustafa ist 29 Jahre alt, ursprünglich aus Tunceli und arbeitet momentan für ein Forschungsprojekt der Universität Zürich, in dem er untersucht, inwiefern  sich die Kultur der Menschen in Hasankeyf durch den Wechsel der Siedlungsformen vom Leben in den Höhlen zum Leben im aktuellen Dorf, und vom Leben jetzt zum Leben in den neu gebauten Wohnungen für die Umgesiedelten verändert. Wir reden sehr lange mit Mustafa, über Hasankeyef, über das GAP-Projekt. Mustafa meint, dass es für die hier ansässigen Kurden schwierig ist, sich stark gegen das Projekt zu wehren. Die Menschen hier sind prinzipiell regierungsfreundlich, die Situation der Kurden hat sich unter Erdogan verbessert. Die ganze Region ist religiös geprägt und befürwortet in diesem Sinne den Kurs der Regierung. Zudem hat die ökonomische Förderung Südostanatoliens den Menschen bessere Infrastruktur gebracht. Nun bekommen die AKP-Anhänger der Region die Politik der Wirtschaftsförderung am eigenen Leibe zu spüren, was diese gemäß Mustafa zwar ärgert, aber nicht genug als dass sich in diesen Kreisen ein grosser Widerstand formieren würde. Mustafa ist Anthropologe und hat einen differenzierten Blick auf die Dinge. Es ist spannend mit ihm zu diskutieren. Obwohl seine Arbeit hier aufregend ist gesteht er ein, dass er  uns ein wenig beneidet um die Möglichkeit zu zweit eine grössere Reise machen zu können. Seine Freundin ist aus Deutschland, seit einem Jahr auf Jobsuche, was die Distanzbeziehung nicht einfacher macht. Umso mehr freut er sich, als er uns bei der Reise behilflich sein kann. Unser nächster Stopp ist Tunceli, seine Heimatstadt. Ruckzuck kontaktiert er seinen Cousin in der Stadt, der für uns ein Hotel reserviert und einen guten Preis aushandelt.

Und kulinarisch?
In Hasankeyf essen wir grillierten Fisch aus dem Tigris, ich würde sagen der beste Fisch bis jetzt. Und da Jonas noch von Bauchkrämpfen geplagt wird, darf ich alle grünen Paprikas, die ich so mag, aufessen.  





Mardin: Die Burg die wir wegen Besetzung der Armee nicht besuchen können





Blick über Mesopotamien





Die engen Gassen von Mardin



Hasankeyf






Künftiges Dorf für umgesiedelte Bewohner



Füsse baden im Tigris


1 Kommentar:

  1. Sali zäme,

    Habe gestern von layla euren Reiseblog erhalten. Super Berichte, tolle Bilder, werde mich bei Gelegenheit daran Verweilen.

    Liebi Grüss Stefan & Rita

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