Dienstag, 16. Juli 2013

"Unsere" türkische Familie

Am Busbahnhof von Malatya werden wir von Mehmet empfangen. Mehmet ist der Cousin einer sehr guten Freundin von mir, der mit seiner Frau Fidan und seinen Söhnen Boran (6 Jahre) und Miran (11 Monate) in Malatya lebt. Zum Glück erkennt er uns gleich an unseren grossen Rucksäcken, wir hätten ihn trotz facebook-Fotos nicht erkannt. Schnell stellt sich heraus, dass Mehmet kein Englisch spricht. Jetzt werde ich wirklich auf die Probe gestellt mit meinen Türkischkenntnissen (oder eben Nicht-Kenntnissen). Zuhause warten Fidan und die Kinder auf uns, winken bereits vom Balkon. Eigentlich haben wir vorgängig ein Hotel reserviert, aber dass wir ins Hotel gehen kommt für Mehmet nicht in Frage, auf gar keinen Fall. Ganz selbstverständlich stellen Fidan und Mehmet uns ihr Schlafzimmer zur Verfügung, sie selbst schlafen im Wohnzimmer und auf dem Balkon. Widerstand ist bei der türkischen Gastfreundschaft zwecklos, also nehmen wir sie an (mit ein bisschen schlechten Gewissen, das wir - ich weiss - nicht haben müssen). Nur mit dem Klo hat Jonas anfangs etwas Berührungsängste, denn in Anatolien scheint die WC-Schüssel noch nicht Einzug gehalten zu haben. In den Wohnungen gehören Stehklos (keine Ahnung, ob dies die korrekte Bezeichnung ist) zur Standardeinrichtung.

Die Offenheit und Herzlichkeit, mit der wir empfangen werden, ist nur schwer zu beschreiben. Die Freude uns zu sehen kommt von Herzen. Umso mehr bedauern wir, dass wir keine richtige Konversation führen können. Mein Türkisch-Wortschatz beschränkt sich auf das wirklich Notwendige, diskutieren kann ich nicht. Und der Online-Übersetzer auf dem Tablet hat auch so seine Grenzen. Trotzdem lachen wir viel zusammen, die Stimmung ist sehr heiter. Vor allem Jonas’ Antwort auf die Frage ob er ein Bier wolle: “nein, ich mache Ramadan” sorgt für grosses Gelächter. Dies wird in den nächsten zwei Tagen zum Running-Gag, der bei jedem Familienbesuch (und es werden viele) wieder erzählt wird.

Am darauffolgenden Tag mieten wir ein Auto. Mehmet hilft uns dabei, was sehr wertvoll ist. Nach einem ausgiebigen Frühstück geht es los mit unserer Tour. Zuerst fahren wir auf die Aprikosenplantage von Mehmet’s Eltern. Die Provinz Malatya ist das weltweit grösste Anbaugebiet für Aprikosen. Hier werden die süssen Früchte entsteint und als ganze Frucht getrocknet. Ca. 95% der in Europa gehandelten getrockneten Aprikosen stammen aus Malatya. Natürlich posieren auch wir mit den Aprikosen für ein Foto, und “arbeiten” ein wenig, ganz nach Wunsch meiner Freundin.

Weiter geht's zu Fidan’s Schwester, wo wir einen hervorragenden türkischen Kaffee serviert bekommen. Anschliessend fahren wir zu einem Restaurant wo es scheinbar guten Fisch aus einem nahe gelegenen See geben soll. Da es wahnsinnig heiß und erst etwa 3 Stunden seit dem Frühstück vergangen sind, haben wir absolut keinen Hunger. Mehmet und Fidan scheinen auch nicht sehr hungrig zu sein, also verzichten wir auf das Essen, auch weil ein weiteres Essen im Dorf geplant ist. Jonas ist erstaunt, dass wir soviel essen sollen, obwohl ich ihn davor gewarnt habe, dass wir wohl gestopft werden würden. Auch dies ist ein Zeichen der Gastfreundschaft. Also gibt’s çay (Tee) statt Fisch.

Endlich fahren wir dann nach Eskiköy, ins Dorf wo der Vater meiner Freundin aufgewachsen ist und die Grossmutter Haus und Garten noch immer in Schuss hält. Auch hier werden wir sehr sehr warm empfangen. Es wird Ayran gereicht (ein Milchgetränk) und die Grossmutter macht sich daran, Brot für uns zu backen. Das Fladenbrot wird hier auf dem Feuer gebacken, auch ich “muss” ein bisschen “arbeiten”. Und auch dies wird anschließend zum Running-Gag: Fidan wünscht sich, dass ich nach Eskiköy ziehe, Aprikosen ernte und Brot backe. Jonas wird sich um den Hund kümmern. Tamam (ok). Nach einer ausführlichen Besichtung des riesigen Gartens gibt es Abendessen: Frisches Fladenbrot, Börek, Tomaten, Paprika, Gurken, Joghurt, Käse - alles aus Eigenproduktion. Es ist sehr bewundernswert, wie die Grossmutter den grossen Haushalt bewältigt. In Eskiköy treffen wir noch weitere Verwandte von Mehmet an, überall sitzen wir schnell hin und plaudern ein wenig. 


Bevor wir wieder nach Hause fahren schauen wir bei Fidans anderer Schwester vorbei. Ich bekomme ein Kopftuch geschenkt - für den Iran. Sehr müde aber überwältigt von der Herzlichkeit der Menschen kehren wir zurück. Ausnahmslos überall werden wir mit offenen Armen und offenen Herzen empfangen. Soviel Offenheit gegenüber “fremden” Menschen, wie wir es sind, sind wir uns aus der Schweiz nicht gewohnt. Und ich denke Fidan und Mehmet haben uns auch zu all ihren Verwandten mitgenommen, weil sie sich selbst sehr über unseren Besuch gefreut haben. 

Es sind bodenständige und ehrliche Menschen, die wir antreffen. Gekennzeichnet von der harten Arbeit, jedoch dem Anschein nach zufrieden mit dem Leben. Ich fange an über mein eigenes Leben nachzudenken. Kann es das sein, jeden Tag im Büro zu arbeiten, von der Arbeit zu den Freizeitterminen zu hetzen, am Wochenende in der Stadt nach dem Vergnügen zu suchen? Würde ein bisschen weniger Konsum nicht auch ausreichen? Es ist eine andere Welt, in die wir hier eintauchen durften, und dafür bin ich sehr sehr dankbar. 


Bevor Jonas und ich am darauffolgenden Tag wieder alleine mit dem Auto losziehen, kommen wir bei Mehmets Eltern nochmals in den Genuss eines reichhaltigen türkischen Frühstücks. Der Jogurt der serviert wird, ist wahrscheinlich der Beste den ich je gegessen habe. Beim Haus von Mehmets Eltern treffen wir auch noch auf Mehmets andere Grossmutter. Die Frau ist 100-jährig und hat zwölf Kinder zur Welt gebracht. Sie redet auf mich ein, und ich verstehe kein - wirklich kein - Wort. Ich bin dann etwas erleichtert, als Mehmet mir sagt, dass sie nur Kurdisch spricht. Und Jonas fragt sich, wie die 100-jährige Frau wohl aufs “Stehklo” geht. 


Der Abschied ist ein bisschen traurig. Der 6-jährige Boran hat Jonas sehr ins Herz geschlossen und möchte ihn kaum gehen lassen. Trotz den Verständigungsschwierigkeiten haben wir das Gefühl, Mehmet und Fidan schon ewig zu kennen - obwohl wir nicht einmal ganz zwei Tage mit ihnen unterwegs waren. Ich hoffe sehr, sie schaffen es einmal in die Schweiz zu kommen, damit wir wenigstens ein bisschen von dem, was sie uns gegeben haben, zurückgeben können.

Und kulinarisch?
Speziell zu erwähnen ist das Fladenbrot, das so frisch vom Feuer unglaublich gut schmeckt. Und natürlich die Aprikosen - die süssesten die ich je gegessen habe. 




Mehmet und seine Familie



Aprikosen soweit das Auge reicht



 

Arbeit auf dem Dorf




Im Wohnzimmer der Grossmutter




Die Landschaft in Eskiköy




Frisches Fladenbrot und die süssesten Aprikosen





1 Kommentar:

  1. Meine Lieben, lese immer mit Spannung eure interessanten Berichte. Wie ich schon gehört habe sind es "mehrere" die sich im Alltag " sanft Weiterbilden ".... Geniesst die Zeit En liebe Gruess M. & U.

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